Jakobsweg 2014 – Teil 4 – Ouroux bis LePuy

Teil 4 – Ouroux bis LePuy

Tag 28 – 14.04.2014 – Le Cergne (35km)

Als ich heute früh aufwachte, juckte es mich am ganzen rechten Bein. Beim genaueren hinsehen, sah ich mindestens fünf Stiche oder Bisse vom rechten Oberschenkel abwärts bis zur Zehenspitze. Was hatte ich mir da denn eingefangen?

Etwa um halb acht Uhr kam die Besitzerin vorbei, holte den Schlüssel ab und wünschte mir und Otto für den weiteren Weg alles Gute.

Nun war ich bereits seit 18 Tagen in Frankreich und seit ebenso langer Zeit mit Otto unterwegs. Mich störte es nicht. Wenn wir Lust haben reden wir mal miteinander, aber im Grunde läuft jeder seinen eigenen Weg, und ob ich nun in den Touristeninformationen oder anderswo für eine Person oder für zwei reservieren lasse, war auch egal.

Nach zwei Stunden fast nur bergauf hatten wir den ersten Teil für heute hinter uns gebracht und standen am Col de Crie auf 622 Höhenmetern (Ouroux liegt auf 450 Meter).

Nach weiteren sechs Kilometern bergauf befanden wir uns auf dem Col de Patoux auf 915 Höhenmetern, etwa 100 Meter unterhalb des Gipfels des Mont St. Riguard. Den wollten wir dann aber nicht noch besteigen. Auf einen kleinen Parkplatz, ein kleines Stück weiter, stand eine Schutzhütte und ich fragte mich: „Wie viele Pilger, haben hier vielleicht schon übernachtet?“

Über einen Teerweg führte der Jakobsweg weiter nach Propieres, wo es laut Reiseführer eigentlich einen kleinen Laden geben sollte. Leider war dies wieder eine Fehlanzeige. Gegen halb zwei Uhr nachmittags waren wir in Les Echarmeaux gelandet und genehmigten uns in einer kleinen Bar etwas Kaltes zu trinken und ein Sandwich.

Der Barkeeper fragte uns (in Englisch) wie weit wir denn heute noch gehen wollen.
Wir: „Bis nach Le Cergne!“
Er: „Ah ja, noch gute 18 Kilometer“
Ich: „Laut Reiseführer aber nur 13!“
Er: „Nein nein, das sind mehr. Ich bin es selber schon gelaufen.“
Wollte er uns nur veralbern oder sollten es wirklich fünf Kilometer mehr sein?

Steil bergauf ging es nun noch einmal auf etwas mehr als 850 Hm. Der Weg war übersät von Geröll und wir mussten ab und zu einen umgestürzten Baumstamm über- bzw. unterqueren. Am Col de la Buche, auf etwa 700 Metern gelegen, ging es in den Endspurt und zum letzten Mal für heute bergauf, diesmal jedoch noch steiler und mit noch mehr Geröll. Hier kam mir meine Höllentour auf dem Croagh Patrick im Nordwesten Irlands von 2010 wieder in den Sinn.

Auf dem letzten Stück liefen wir bergab an den Häusern von Terre Dessous vorbei und über eine Treppe direkt nach Le Cergne. Unser Hotel fanden wir schnell. Was natürlich auch kein Wunder war, da es sich gerade mal zehn Meter abseits des Weges befand.

Am Eingang sah ich ein Schild mit drei Sternen und dachte, das wird bestimmt wieder teuer.
Beim betreten wurden wir von einer Mitarbeiterin an der Hotelrezeption sehr aufmerksam begrüßt. Otto ließ sich gleich in einem Sessel fallen und ich kümmerte mich um den Check-In. Als sie mir dann unsere Zimmerschlüssel aushändigte und uns den Weg zum Treppenhaus andeutete, fragte Otto nur noch so in den Raum hinein: „Wann gibt‘s Essen?“ Ist das immer seine einzige Sorge? Wir werden schon nicht verhungern. Auch er sollte doch nach fast drei Wochen Frankreich wissen, dass es immer erst zwischen 19 und 20 Uhr Abendessen gibt.

Die letzten beiden Tage waren die mit den meisten Höhenmetern seit der Tour nach Fell. Die kommenden Tage gehen zwar weiter durch das Zentralmassiv, hier werden wir noch fast 20 Tage verbringen, jedoch bei weitem nicht mehr mit diesen großen Höhendifferenzen. Aber Hut ab, vor meinem Körper, bis auf einen leichten Muskelkater in den Beinen, habe ich keinerlei Probleme.

Tag 29 – 15.04.2014 – Briennon (27km)

Nach dem Frühstück bezahlten wir und sahen, den erstaunlich günstigen Preis, für die Übernachtung mit Halbpension zahlen wir nur 60 €. Hier war das erste Hotel, in welchem wir einen Pilgerrabatt bekamen.

Die ersten Kilometer führten abwärts, bevor es auf einer Landstraße wieder bergauf ging. Belohnt wurden wir diesmal mit einer super schönen Aussicht nicht nur nach vorne, sondern auch nach hinten. Langsam kam ich mir vor, als wanderte ich durch Südtirol oder Bayern.

Gegen zwölf Uhr erreichten wir Charlieu, sprangen noch schnell in die Touristeninformation, bevor diese zu machte. Holten uns einen Stempel und ließen uns Zimmer bzw. Betten für den kommenden Freitag (18.04.) reservieren. Die hilfsbereite Angestellte telefonierte ungewöhnlich lange mit der anderen Dame am Ende. (Am Freitag sollten wir wissen, warum :-))

In einer Bar machten wir anschließend noch eine Mittagspause, bevor es auf die letzten knapp zehn Kilometer gehen sollte. Viel zu schnell (nach nur 1,5 Stunden) kamen wir in Poillo-sous-Charlieu an. 8,7 Kilometer, in der kurzen Zeit, dass konnte ich mir nicht vorstellen. Die Angaben im Reiseführer stimmen mal wieder nicht.

Etwas später waren wir dann in Briennon angekommen. Unser Hotel lag neben einer kleinen Bar und der Hotelier war zugleich der Barkeeper. Er händigte uns den Zimmerschlüssel aus und gab uns mit einer Geste zu verstehen, dass er nichts zu essen für uns heute Abend hat oder meinte er, es im ganzen Dorf nichts zu essen gäbe?

Bei einem kleinen Einkauf und „Stadtrundgang“ fiel mir auf, dass die beiden ansässigen Restaurants geschlossen waren. Das sollte uns also seine Geste sagen. So genossen wir unser Abendessen auf dem Zimmer, in Form von Baguette, Wurst und Käse.

Tag 30 – 16.04.2014 – Renaison (28km)

Als ich auf die Uhr schaute, war es halb zehn und wir hatten bereits die ersten sechs Kilometer nach La Bénisson-Dieu hinter uns. Dieser eher unscheinbare Ort hat eine kleine Besonderheit, eine alte Abteikirche in einem sehr farbenfrohen Stil.

Ein Feldweg, welcher später in einen Teerweg mündete, brachte mich und Otto nach St.-Romain-la-Motte. Hier machten wir Mittagspause. Einige Zeit später holten wir uns den heutigen Tagesstempel im Rathaus von St. Haon-le-Chatel ab.

Nun trennten uns nur noch zwei Kilometer vom Etappenziel Renaison. Auf diesem Stück Weg jedoch, meinte es der Jakobsweg gar nicht gut mit uns, denn er verlief sehr steil (ja fast sogar senkrecht) bergauf und später wieder bergab. Einen Lichtblick hatten wir aber auch noch, wir wanderten zur Abwechslung mal wieder durch einen kleinen Weinberg.

In Renaison angekommen, befand sich das kleine örtliche Hotel nicht weit vom Weg entfernt. Vor dem Abendessen schaute ich noch zur Dorfkirche. Obwohl ich vorher noch nie dort gewesen bin, kam mir diese Kirche vor wie Rose Line Chapel in Südengland.

In genau einer Woche sollten wir Le-Puy erreichen, dann ist der erste große Teil endlich hinter mir.

Tag 31 – 17.04.2014 – St.-Jean-St.-Maurice-sur-Loire (19km)

Da die Tagestour nur 19 Kilometer lang war, machten wir uns erst kurz nach zehn Uhr auf den Weg nach St.-Jean-St.-Maurice-sur-Loire.

Leider führten diese Kilometer fast ausschließlich über asphaltierte Wege, nur in der Tagesmitte gab es mal einen kurzen Abschnitt mit einem Feld- bzw. Waldweg.

Eine ausgedehnte Mittagspause gab es in Lentigny. Hier informierte uns ein Wegweiser, dass es nur noch 178 Kilometer nach Le-Puy und nur noch 1688 Kilometer nach Santiago de Compostela waren.

Einige Minuten nach 16 Uhr trafen wir am Hotel ein und mussten leider noch bis 17 Uhr warten, was jedoch bei dem schönen Wetter kein Problem war.

Laut Reiseführer sollte die Kirche hier im Ort eine Freske des heiligen Jakobus besitzen, welche aus dem 13. Jahrhundert stammen sollte. Leider haben wir aber bei der Besichtigung nichts der Gleichen gefunden.

Tag 32 – 18.04.2014 – Arthun (33km)

Gegen acht Uhr kamen wir hinter dem Örtchen zu einer Burgruine und hatten einen wunderschönen Blick in das Tal der Loire. Der Himmel sah jedoch alles andere als wunderschön aus und es fing kurze Zeit später an, leicht zu regnen. Mein Regenponcho kam nun nach über drei (fast vier) Wochen mal wieder zum Einsatz.

Nun ging es ein Stück bergab hinunter zur Loire, ein wenig entlang deren Ufer und schon mussten wir wieder hoch. Über einen Teerweg kamen wir nach Bully und holten uns, obwohl Karfreitag war, in der Mairie einen Stempel. In Frankreich ist dieser Tag kein Feiertag. Einer kleine Straße folgend, kamen wir durch die Dörfer Dance und Amions nach Pommiers-en-Forez.

Hinter Dance sahen wir in der Ferne eine Gebirgskette und auf zwei Stellen sogar Schnee. „Könnte das Gebirge sein, welches wir in 2 Tagen (Ostersonntag) vor uns hatten?“
Vielleicht wird das Wetter aber wieder ein wenig besser und der Schnee taut weg oder ich muss mir doch noch Schneeschuhe basteln.

Ab Pommiers-en-Forez hatten wir noch 9,2 Kilometer vor uns. In Arthun angekommen, hatten wir mit ein wenig Suchen unsere Herberge gefunden und standen vor einem sehr schönen Gemäuer mit verschlossenen Türen. Nur zehn Minuten später kam die Besitzerin angefahren, eine nette ältere Dame. Sie musste noch ein wenig einkaufen und hätte nie gedacht, dass wir so früh schon auf der Matte stehen (es war schon fünf Uhr). Nach einer herzlichen Begrüßung merkte sie schnell, dass wir nicht gut französisch sprachen, und sprang sofort in ein fließendes Englisch über. Nachdem sie uns das Haus aufschloss und uns das Schlafzimmer und Bad zeigte, fragte sie uns, wann wir denn Abendessen möchten. Wir antworteten: „So gegen sieben Uhr.“Da hatten wir genug Zeit um uns auszuruhen, frisch zu machen und den Tag ausklingen zu lassen.

Als ich im Bad war, sah ich eine Personenwaage auf dem Boden stehen und dachte mir so: „Kann ja nichts schaden sich mal darauf zu stellen.“ Mit Verwunderung stellte ich fest, dass fünf Kilo runter waren. „Wo waren die nur hin?“

Die nette Frau zauberte extra für uns zwei ein 4-Gang-Menü. Salat, Pasta mit Seelachs, Käse und zum Abschluss noch Obstsalat.
Beim Essen fragten wir sie spontan, woher ihr fließendes Englisch kam. Auch glaubten wir einen kleinen Akzent herauszuhören, daher fragten wir: „Sind Sie Engländerin?“ „Nein nein, aber ich war früher Englischlehrerin!“
Daher also das sehr gute Englisch. Nun stellte sie uns noch die Sachen fürs Frühstück hin und ließ uns den rechtlichen Abend alleine.

Viel Zeit blieb nicht mehr, bevor wir uns hinlegten. Aber ich schaute noch die Wettervorhersage im Fernsehen an und siehe da es sollte sich bereits am nächsten Tag bessern.

Tag 33 – 19.04.2014 – Montbrison (28km)

Wir waren gerade beim Frühstücken, als die Betreiberin kam. Kurze Zeit später standen wir mit gepackten Rucksäcken im Hauseingang. Bezahlten, bedankten uns recht herzlichst für die Gastfreundlichkeit und verließen dann schweren Herzens das schöne Haus.

Bis nach St.-Agathe-la-Bouteresse waren es nur wenige Kilometer, hinter dem Ort bog der Weg ab und verlief hinauf zum Kloster von Montverdun. Von hier oben hatten wir einen fantastischen Ausblick auf die umliegenden Berge und Täler.

Am Eingang trafen wir auf eine kleine Überraschung, die Betreiberin der Herberge von letzter Nacht. Sie verriet uns, dass sie öfters hier hochkommt, um die Ausblicke und die Atmosphäre zu genießen.

Schnell kamen wir über einen asphaltierten Weg nach Montverdun.
Von hier aus konnte man endlich wieder einmal auf Feldwegen weiterlaufen. Im kleinen Dorf Chalain machten wir Pause, bevor wir uns auf die heutigen letzten zehn Kilometer nach Montbrison machten.

In Montbrison angekommen fanden wir schnell die Touristeninformation, welche uns mit Stadtplan und den Reservierungen für die letzten zwei Tage vor Le-Puy versorgte.

Dann ging es ins Hotel und kurz darauf in die Altstadt, zur Kathedrale und auf eine kleine Besichtigungsrunde.

Vier Wochen und fünf Tage war ich nun schon auf den Weg unterwegs und bereits nach ca. zwei Wochen merkte ich, wie mein Kopf immer freier wurde. So stiegen dann auch mal Gedanken auf, welche ich eigentlich schon fast vergessen hatte, über die es sich jetzt aber einmal mehr lohnt nachzudenken.

Am Vormittag war es dann so weit. In meinem Kopf hatte es „Klick“ gemacht und ich musste mir eingestehen, dass ich in den letzten Jahren hin und wieder ein echter Idiot andern Personen gegenüber gewesen war.
Meine Notlügen, Verbissenheit und die (nicht wenigen) kleinen Wutausbrüche bzw. Aufreger waren ja total sinnlos. Vieles fraß ich einfach nur in mich hinein und dann brachte bereits jeder kleine Tropfen das Fass zum Überlaufen. Doch damit ist ab jetzt Schluss. Wieso kam mir dieser Umschwung erst an diesem Tag?

Diese Dinge hier und an diesem Tag (33 Tage und fast 1000 Kilometer seit dem Start unterwegs) zu erkennen und zu begreifen war mir mehr Wert, als alles was ich mir jetzt hätte wünschen können.

In einer Fernsehdokumentation über den Camino wurde mal eine Dreiteilung des Jakobswegs angesprochen: „Teil eins ist für den Geist, Teil zwei für den Körper und Teil drei für die sozialen Verknüpfungen“. Nehme ich mir dies nun Mal zu herzen, so hat der Weg hier für mich bereits ein Ende gefunden, denn Teil eins ist erfüllt.

„Ein freier Kopf ist ein freier Geist. Ein freier Geist kennt keine Grenzen und nur so kann man über sich selbst und das Zusammenleben mit der Welt nachdenken.“

Tag 34 – 20.04.2014 – La-Chapelle-en-Lafaye (26km)

Nun stand der Tag mit dem höchsten Punkt der Strecke Trier – Le-Puy vor uns, 1178 Höhenmeter über NN.

Durch das Stadtgebiet von Montbrison hindurch kamen wir nach Moingt. Hier führte der Jakobsweg dann über Feldwege nach St.-Thomas-la-Garch und weiter nach St.-Georges-Haute-Ville. In den Orten waren die ersten Höhenmeter bereits geschafft, Montbrison lag auf ca. 400 und St.Georges-Haute-Ville auf 550 Höhenmetern.

Nun stand uns der Aufstieg auf den Mont Supt bevor. Hier oben stand eine kleine Pilgerkapelle mit einem Wegweiser, welcher die Aufschrift „Ultreia“ (der mittelalterliche Pilgergruß) trug.
Kurze Zeit später waren wir in Margerie-Chantagret gelandet und folgten schließlich den Weg immer weiter bergauf durch den Wald hindurch über Saint-Jean-Soleymieux nach Marols.
Hier kamen unsere Regenponchos wieder einmal zum Einsatz, zum Glück aber nur für ein paar Minuten.
Immer weiter stiegen wir höher und höher, gelegentlich war der Weg durch den Wald mit Geröll überschüttet, was das Laufen nicht gerade angenehm machte.
Auch fing es immer wieder mal leicht an zu regnen und mir kam es ein paar Mal so vor, als ob sich ein paar Schneeflocken zwischen den Regentropfen tummelten.

Plötzlich kamen wir an einen Wegweiser an, „La-Chapelle 1,6 km“ und der Angabe, dass wir uns auf 1162 Hm befinden. Wir hatten also vollkommen unbemerkt den höchsten Punkt bereits überschritten.

Etwas bergab und wir waren am heutigen Ziel angekommen. Den Schlüssel für die Herberge bekamen wir zwei Häuser weiter. Der Betreiber verkaufte uns auch gleich noch ein paar Lebensmittel aus seinem kleinen Laden, welcher sich als gefüllte Einkaufskiste entpuppte.

In der Herberge hatten wir ein Zimmer mit vier Doppelstockbetten und kleinem Bad für uns alleine. In einem anderen Raum, standen ebenfalls einige Doppelstockbetten und auf Dreien davon lagen Schlafsäcke ausgebreitet. Siehe da, wir waren also nicht sie einzigen Pilger bzw. Wanderer.

Hier oben in den Bergen ist es nun zwar etwas kalt, aber gerade noch zum Aushalten. Schnee lag hier oben aber keiner mehr. Das, was wir da vor zwei Tagen sahen, war also lässt wieder weg.

Tag 35 – 21.04.2014 – Jouanzecq (20km)

Steil bergab folgten wir am Vormittag dem Weg nach Egarander. Hier hat man nun die Wahl zwischen zwei Strecken für die nächsten zwei bis drei Tage nach Le-Puy. Entweder über den klassischen Jakobsweg oder über den GR3, welcher mittlerweile aber auch mit Muschelschildern markiert war. Wir blieben weiter auf dem normalen alten Jakobsweg.

Fast eben ging es weiter nach Usson-en-Forez. In einem Café direkt neben der Kirche machten wir eine Pause und ich staunte nicht schlecht, als ich dieses betrat und sah, was sie an der Theke verkauften. Paulaner Weißbier.

Gegenüber der Kirche sah ich einen kleinen Blumenladen, der sogar offen hatte. Da fiel mir auf, dass es wohl die Franzosen nicht so mit den Sonn- bzw. Feiertagen hatten, denn wo in Deutschland findet man schon Geschäfte, die Sonntagvormittag offen haben, zumal wenn auch noch Ostersonntag ist.

Am Ortsausgang fanden wir einen drei-teiligen Wegweiser, welcher uns darauf aufmerksam machte, dass hier die drei französischen Regionen Auvergne, Forez und Velay zusammentreffen. So betraten wir die Region Velay, die Letzte für den ersten großen Teil. Über eine Museumsbahnstrecke drüber und durch das Gelände einer Holzverarbeitungsfabrik hindurch waren wir auch schon wieder aus dem Ort raus.

Nun ging es über einen Feldweg direkt weiter nach Jouanzecq. Otto lief etwa 200 Meter vor mir, als ich an einigen Häusern vorbei kam. Laut Reiseführer sollte zwischen Usson und Jouanzecq nichts weiter kommen, also müsste das bereits unser Dorf sein. Ich rief Otto zurück und gemeinsam liefen wir durch das Dorf hindurch. Besser gesagt war es nur eine kleine Häuseransammlung.

Am letzten Haus wurde ich stutzig, da sich unser reserviertes Gästehaus eigentlich direkt am Weg befinden sollte. Hier kam aber zum Glück gerade ein Paar mit Hund aus der Garage raus und so fragten wir nach dem Weg. Die beiden deuteten uns, dass wir immer weiter geradeaus und dann nach links gehen müssten.

So war es dann auch, etwa zwei Kilometer weiter standen wir vor dem Gästehaus. Hier sahen wir auch wieder einen Muschelwegweiser. Siehe da, es befindet sich tatsächlich direkt am Weg, nur der Eingang befand sich etwa 10-15 Meter daneben.

Wir wurden von der Tochter und dem Sohn der Betreiber empfangen und bekamen auch gleich einen Begrüßungstrank angeboten. Mentholsirup, natürlich mit Wasser verdünnt. Sehr lecker kann ich nur schreiben.

Auf unserem Zimmer ruhten wir uns erst einmal aus und streckten die Beine lang, bevor es gegen halb acht Abendessen gab.

Zum Essen waren wir insgesamt zu fünft, die Gasthausmutter, ein Paar aus Venedig, Otto und ich. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann kommt das Paar seit 1996 fast jedes Jahr hierher.

Die Gasthausmutter und auch das Paar konnten relativ gutes Englisch und so wurde es ein recht interessantes Abendessen.

Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam. Aber der Mann, von dem Paar aus Venedig sagte mal nebenbei: „Ich glaube, wenn wir dich (er meinte mich) mit einigen alkoholischen Getränken verköstigen, dann würdest du auch mal Schnecken essen.“ Auch wenn Schnecken hier in Frankreich eine Spezialität sind, aber an diese Weichtiere bekommen mich keine zehn Pferde ran.

Tag 36 – 22.04.2014 – Saint Paulien (34km)

Vom Weg zu schreiben lohnte sich heute nicht, es ging nur über Felder und durch Wälder. Kein Dorf, keine Zivilisation, nur man selbst und sein Kopf.

Erst am Nachmittag kamen wir wieder ein einem kleinen Dorf an, Le Cros. Jedoch menschenleer. Die letzten 4,2 Kilometer führten über einen Feldweg, welcher später in eine kleine asphaltierte Straße mündete. Diese brachte uns schließlich direkt nach Saint Paulien.

Irgendwo auf dem einsamen Wegabschnitt heute überschritt ich die 1000-Kilometer-Marke. Diese Zahl als gelaufene Strecke zu sehen, will mein Kopf aber nicht begreifen.

Tag 37 – 23.04.2014 – Le-Puy-en-Velay (16km)

Beim Frühstück, welches ich alleine zu mir nahm, da Otto bereits seit fast einer Stunde unterwegs war (wir hatten uns am Vorabend für diesen Tag um 18 Uhr an der Kathedrale in Le-Puy verabredet), setzte sich ein Paar an den Tisch neben mir.
Er sprach mich spontan auf Deutsch an: „Wandern Sie den Jakobsweg?“
Ich: „Ja, von Mainz aus bis ans Ende“
Wir kamen ein wenig ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass das Paar am vergangenen Abend beim Essen nur zwei Tische weiter saß und, so Otto und mich reden hörte. Daher sprachen sie mich also auch direkt auf Deutsch an.

Die beiden kamen aus Freiberg, sind bereits seit einigen Jahren unterwegs (jedes Jahr sieben bis neun Tage) und gingen nun nur bis nach Le-Puy. Von dort aus würden sie am Folgetag dann zurück nach Hause fahren. Kurze Zeit dachte ich nach:

„Nach Hause zurück, das könnte ich jetzt nicht. Selbst dann nicht, wenn meine Eltern anrufen würden und mir sagen, dass Opa gestorben ist. So schlimm, wie das klingen mag, aber ich würde um kein Geld der Welt jetzt nach Hause zurück wollen.“

Ich verabschiedete mich von den beiden und wünschte ihnen noch eine gute Heimreise, aber vielleicht sehe ich sie ja in Le-Puy noch mal.

Zehn Minuten nach acht machte auch ich mich nun endlich auf den Weg nach Le-Puy-en-Velay, der Stadt in der nicht nur der erste große Teil der Reise vorüber war, sondern auch der Erste von drei Reiseführern beendet war.

Auf den ersten Kilometern musste ich relativ vorsichtig laufen, da ein sehr dichter Nebel den Weg fast unsichtbar machte und man so entgegenkommende Fahrzeuge sehr spät sah.
Die Dörfer Bilhac und Polignac waren schnell erreicht. Im letzten Dorf Polignac, hatte man die Möglichkeit ein (eigentlich) sehr schönes Chateau zu besichtigen. Nur bei dem dichten Nebel sah man eh nicht viel, also lief ich direkt weiter, auf die letzten fünf Kilometer nach Le-Puy.

Nach einen kurzem Stück Landstraße folgt der letzte Aufstieg über einen Grasweg. Der Nebel verzog sich auf diesen letzten Kilometern auch schnell und so hatte ich von hier oben einen wunderschönen Blick auf die im Tal liegende Stadt und ihre Wahrzeichen.

Bergab auf einer Straße kam ich vorbei am Ortseingangsschild und schon war das Ziel erreicht, Le-Puy-en-Velay. Endlich, ich hatte es geschafft, etwas über 1000 Kilometer unterwegs.

In der Touristeninformation ließ ich mir einen Stempel geben und fragte nach einem Hotel für die kommenden zwei Nächte. Zusammen mit der netten Angestellten schaute ich durch die Hotelregister und beim Erstbesten, welches nicht weit von der Innenstadt entfernt lag und zugleich auch noch preiswert war bat ich, dass sie vielleicht anrief. Dies tat sie auch gerne und, besser hätte es gar nicht sein können, es war noch ein Zimmer frei und für 43 Euro pro Nacht, konnte man auch nichts falsch machen.

Nur wenige Minuten später stand ich an der Hotelrezeption und der Hotelier händigte mir den Zimmerschlüssel aus.
Meine gute Laune wurde noch besser, als ich aus meinen Fenster schaute. Da konnte ich doch glatt einen Teil der Kathedrale sehen und dahinter, die auf einen Vulkankegel thronende, Statue der Notre–Dame de la France, eine 16 Meter hohe Marienstatue. Etwas weiter entfernt dann auch noch ein weiteres Wahrzeichen, die Kirche Saint-Michel d’Aiguilhe (heiliger Michael auf der Nadel).

Nun machte ich mich gleich auf, ein wenig von der schönen Stadt zu sehen.
Der Aufstieg zur Statue war dann doch noch mal eine richtige Kraftanstrengung, aber man wurde mehr als belohnt. Der Aussicht über die, im Sonnenlicht glänzende Stadt war atemberaubend.
Das Pilgerbüro der Kathedrale machte leider erst um 14 Uhr wieder auf, in einer guten Stunde. Also hatte ich noch genug Zeit, mir vieles andere anzuschauen.

In einer der kleinen Gassen traf ich plötzlich auf Otto. Er war bereits gegen zehn Uhr hier angekommen und hat auch schon die halbe Stadt gesehen.

Gemeinsam gingen wir zurück zur Kathedrale, denn mittlerweile war es nach 14 Uhr, und ließen unsere Pilgerpässe abstempeln. Bevor sich unsere Wege wieder trennten, machten wir uns eine Zeit aus. 19 Uhr beim Pilgertreffen in der Rue du Cardinal de Polignac 29.

In einem Café ruhte ich mich etwas aus und plante den kommenden freien Tag.

Am Abend ging ich zu der Adresse, wo eigentlich das Pilgertreffen sein sollte. Nichts, keine anderen Pilger und auch von Otto keine Spur, sehr schade. Auch eine gute halbe Stunde später, noch immer nichts.

So hatte ich Otto leider nicht mehr gesehen.

Zur Feier des Tages aß ich eine Pizza und trank anschließend noch ein kühles Guinness in einem Irish Pub, welches ich beim Bummel durch die kleinen Gassen entdeckte. Leider war ich da ein wenig enttäuscht, das Pint war für sechs Euro nicht nur teurer als am Dubliner Flughafen, sondern auch es hat auch nicht einmal so geschmeckt wie in Irland.

Zurück im Hotelzimmer, sah ich dann aus dem Fenster die von Scheinwerfern angestrahlte Marienstatue und ließ mir meine letzten 37 Tage der Reise einmal durch den Kopf gehn, bevor ich mich ins Bett legte.

Tag 38 – 24.04.2014 – Le-Puy-en-Velay (0km)

Am Vormittag bestieg ich den Vulkankegel mit der kleinen Kapelle Saint-Michel d’Aiguilhe, kaufte ein wenig für die nächsten Tage ein und ging zur Post. Hier wollte ich den ersten Reiseführer und ein paar Prospekte nach Hause schicken. Die Frau am Schalter legte alles auf eine Waage, holte eine Versandtasche, tippte ein paar Zahlen ein und zeigte mir dann den Preis: 15,50 € für knappe 310 Gramm. Ich schüttelte mit dem Kopf und deutete ihr an, dass ich dafür nicht so viel bezahlen wollte.

Die nächstkleinere Verpackung war dann jedoch nur für maximal 250 Gramm ausgelegt, so nahm ich den Reiseführer (denn der musste nach Hause) und nur zwei kleine Prospekte. Dies zusammen wog auch nur noch 260 Gramm. Sie drückte ein Auge zu und verpackte es ordnungsgemäß. Der Preis war dann auch human geworden, 6 Euro. Beim Bezahlen dann das nächste Problem, weder VISA noch EC-Karte wollten funktionieren, auch nicht bei mehrmaligem Versuch. Am Ende bezahlte ich bar.

In der Stadt konnte man einfach viel zu viel sehen, man kann gar nicht alles be/schreiben.

Bei meinen „Rundgängen“ durch die Stadt, sowohl an diesem Tag als auch am Vortag, sah ich viele Pilger. Der kommende Wegabschnitt sollte also nicht so einsam werden, wie die letzten 27 Tage hier in Frankreich.

Nachmittags ließ ich mich dann in einem der unzähligen Cafés in einen Stuhl fallen und streckte die Beine aus. Kurze Zeit später zog ein kräftiger Regenschauer über Le-Puy hinweg.

Am Abend lockte es mich wieder in einen Irish Pub, nicht das vom Vortag. Mit 6,50 € zwar noch mal teurer, aber es hat wenigstens etwas nach Irland geschmeckt. Der Name des Pubs passte aber zu Irland, „Le Shamrock“ (Kleeblatt).

(Text als PDF)

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