Jakobsweg 2014 – Teil 6 – Cahors bis Saint Jean Pied de Port

Teil 6 – Cahors bis Saint-Jean-Pied-de-Port

Tag  51  –  07.05.2014  –  Montcuq  (30km)

Was ist das? Wo bin ich?

Ich sehe mich auf einem Stein sitzen, unter mir die Klippen, hinter mir ein Leuchtturm. Kann das sein …? Ja, dachte ich. Es ist tatsächlich das Kap Finisterre.
Ich sitze dort und schreibe gerade mein Tagebuch:

„23.06.2014 Finisterre
Ich bin angekommen, am Ende der Welt, am Ende meiner Reise. Mein junger Traum ist erfüllt. …“

 Plötzlich wurde es dunkel und … ich wachte auf.

Ich lag wieder in einem Bett in der Jugendherberge in Cahors.
„Schade, es war alles nur ein Traum. Aber was für einer!“ dachte ich.
Der hat mich doch glatt wieder zurückgeholt und mir gezeigt, warum ich eigentlich noch hier war und mich auch an diesem Tag wieder auf den Weg gemacht hatte. Immer weiter nach Westen, dem Ende entgegen.

Ich bin es selbst, der sich Tag für Tag vorantreibt, Kilometer um Kilometer, Schritt für Schritt. Und warum das alles? Alles nur dafür, um sich den Traum „Zu Fuß von zu Hause bis ans Ende der Welt“ zu erfüllen und dieser junge Traum, mein Traum, war keine zwei Jahre alt gewesen.

Es war kurz vor sechs Uhr morgens, mein Wecker klingelte wenige Minuten später und so stand ich auf.

Kurze Zeit später saß ich auch schon im Frühstücksraum und genehmigte mir erst einmal einen guten Kaffee. Als ich fertig war und aufstand, kam das Schweizer Paar an. Die beiden hießen Toni und Therese. Wir sprachen noch kurz miteinander. Dabei stellte sich heraus, dass die beiden einige Tage zuvor auf Otto getroffen waren. Ich erzählte ihnen, dass ich mehrere Wochen mit ihm zusammen gepilgert war.

Gegen acht Uhr packte ich meinen Rucksack und ging los.

An der Brücke „Ponte Valentré“ wartete ich auf Antje, um mit ihr noch einige Kilometer zu gehen, bevor sich unsere Wege für die nächsten zwölf Tage trennen sollten (bis nach Saint-Jean).

Ich erzähle Antje, dass ich es wieder gefunden hatte. Das, was mich jeden Tag weiter laufen ließ. Sie beglückwünschte mich und so konnten wir frohen Mutes in diesen Tag starten.

Mit der Brücke in Cahors überschritten wir auch zum letzten Mal den Fluss Lot, jenen Fluss, dem man seit ca neun Tagen mehr oder weniger gefolgt ist (ca. 190 Kilometer). Sofort nach der Brücke bog der GR65 auf einen Feldweg ab, welcher uns steil, zum Teil sogar sehr steil, bergauf führte. Als Entschädigung gab es einen tollen Blick zurück auf Cahors.

Gute zwei Stunden und nur magere fünf Kilometer später standen wir vor der öffentlichen Herberge in Les Mathieux und machten kurz Rast. Ein meterlanges Profilbild zeigte eindrucksvoll das Höhenprofil von Cahors bis nach Saint-Jean. „Da steht noch ganz schön was vor uns“, dachte ich.

Eine etwas längere Pause gab es vier Kilometer weiter in Labastide-Marnhac. Hier sagte ich zu Antje: „Warte mal kurz, ich hole mir noch schnell einen Stempel in der Mairie!“ „Na dann werde ich mir auch einen geben lassen. Das wäre dann mein Erster aus einer Mairie!“ Ich dachte mir nur so: „Im Ernst?“ Hinterfragte es aber nicht weiter.

Durch einige kleine Höfe bzw. Weiler führte der Weg fast ausschließlich über schöne Feldwege bis nach Lascabanes.

Etwa zwei Kilometer hinter den beschaulichen Dörfchen trennten sich unsere Wege endgültig.

Aus diesem Grund redeten wir, gerade auf den letzten Kilometern noch viel über Gott und die Welt, wie man so schön sagt. An diesem Punkt angekommen, machten wir noch ein Abschiedsfoto und nun ging jeder in eine andere Richtung, sie nach links und ich nach rechts. Ich drehte mich noch drei Mal zu ihr um und winkte kurz. Dann schaute ich wieder nach vorne und lief weiter.

„Habe mal gelesen, dass das Glück bringen soll. Die Sache mit den drei Mal zurückschauen.“

Die restlichen sieben Kilometer teilen sich in drei Kilometer Feldweg und vier Kilometer Landstraße. Letztere führte zum Teil sehr steil bergab.

Nicht gerade schön zu laufen und mir kamen doch tatsächlich erste Zweifel, ob ich, denn an diesem Tage noch jemals in Montcuq ankommen würde. Dies wurde auch noch untermauert, als ich eine SMS von Antje bekam: „Sie liege in ihrer Luxus-Gite, mit Pool, kühlen Getränken und allem, was das Pilgerherz begehrt.“ 🙁

Reichliche eineinhalb Stunden, gegen 17 Uhr kam ich endlich in Montcuq an, und es stellte sich mir sofort die Frage: „Wo ist die Herberge?“

Die Touristeninformation hatte leider bereits geschlossen, aber zum Glück befand sich da ein kleiner Standplan. Zwei Querstraßen weiter, keine 100 Meter, war ich endlich an der Herberge angekommen.

In der Gite hörte ich bereits den Betreiber fließendes Deutsch mit zwei anderen Pilgern sprechen. Er fragte mich auch gleich, ob ich Deutscher bin. Ich gab ihm nur zur Antwort: „Naja, auf jeden Fall spreche ich Deutsch besser als Englisch oder Französisch.“

Er zeigte mir mein Bett und bot mir auch gleich die Dusche in seinem Apartment an, welches im Haus der Herberge integriert war, da die einzige Dusche gerade sehr überlaufen war.

Nach einer warmen/kalten Dusche kaufte ich im nahegelegenen Supermarkt mein Abendessen und ließ für den Rest des Abends die Beine baumeln.

Beim Essen kam ich ein wenig mit dem Betreiber ins Gespräch. Er war gebürtiger Deutscher, hieß Detlev und kam aus Leverkusen. Lebte aber bereits seit einigen Jahren hier in Frankreich und ist natürlich auch schon gepilgert unter anderem mit einem Esel. „Das passt ja“, dachte ich und äußerte die Frage, ob es denn stimmt, dass Esel nicht über Brücken gehen können. „Nein, das ist nur eine Sache der Gewöhnung“, gab mir Detlev zur Antwort.

An diesem Abend rechnete ich mal wieder ein klein wenig mit den Kilometern und sah mit Erstaunen, dass ziemlich genau an der Stelle, wo sich die Wege von Antje und mir getrennt hatten, die Hälfte der Strecke LePuy-SaintJean, der Via Podiensis geschafft war.

Kurz bevor ich mich gegen halb zehn Uhr schlafen legen wollte, spielte ich einen guten Engel.
Ein österreichisches älteres Paar, schlief mit im Zimmer und fanden ihre Taschenlampe nicht. Er: „Ich frag doch keine fremden Personen!“
Sie: „Mensch, jetzt frag doch einfach den jungen Mann da drüben!“
Er kam auf mich zu und fragte, ob ich nicht eine kleine Taschenlampe hätte. Es könnte ja vorkommen, dass seine Frau nachts mal auf Toilette müsse. Da möchte sie aber nicht gleich das ganze Licht anmachen.
„Natürlich!“, gab ich als Auskunft.
Ich suchte kurz im Rucksack und zückte einige Augenblicke später meine kleine Taschenlampe. Er nahm sie mit Freude an und sie umschloss das kleine Ding mit ihren Händen und war den Freudentränen nahe: „Danke, danke, hab vielen Dank dafür.“
Ich: „Klar. Ist doch kein Problem. Pilger helfen sich doch gegenseitig.“

Tag  52  –  08.05.2014  –  Figué-Haut  (26km)

Am frühen Vormittag verabschiedete ich mich von Detlev. Er wünschte mir noch alles Gute für den bevorstehenden Weg bis nach Santiago und ich machte mich auf die ersten Kilometer durch einen Wald. Über den Hof Bonal und am Rande des Dorfes Montlauzun vorbei kam ich nach etwa 14 Kilometern in Lauzerte an. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Touristenformation schloss. Hier reservierte ich mir eine Unterkunft für eine der nächsten Nächte und auch gleich noch ein Gästezimmer für Antje und mich in Saint-Jean. Das war ein kleines Versprechen von mir an sie, dass sie sich darum nicht kümmern musste.

Direkt neben dem Dorfplatz fand ich eine nette kleine Bar, genau richtig für eine Mittagspause.
Der Dorfplatz besaß eine tolle optische Täuschung, eine nach oben gebogene gepflasterte Ecke.

Auf der Landstraße lief ich ca. zwei Stunden später aus Lauzerte wieder hinaus. Danach folgte ein Pfad bergauf und bergab über die Höfe Le Chartron und Parry.

Hier liefen zwei bekannte Gesichter vor mir, das Schweizer Paar aus der Jugendherberge aus Cahors, Toni und Therese. Toni fragte mich sofort: „Warum läufst du denn alleine? Wo ist denn die junge Frau?“
Die beiden hatten Antje und mich in einem kleinen Waldstück kurz vor Cajarc überholt. Daher kannten sie uns nur zusammen.
Ich gab als Antwort: „Naja, Antje hat nur noch eine begrenzte Zeit, möchte aber auch über die Pyrenäen laufen. Daher fährt sie von nun an einige Etappen mit dem Bus und ich laufe halt die ganze Strecke. In elf Tagen sehen wir uns dann in Saint-Jean wieder.“
Toni sagte mit einem Lächeln im Gesicht: „Ja ja, wenn eine Frau wartet, dann kann ein Mann alles erreichen.“

Zusammen liefen wir nun noch drei Kilometer bis zu einem Abzweig kurz vor Durfort-Lacapelette. Hier trennten sich unsere Wege, denn ich übernachtete in der Gite im Weiler Figué-Haut. Die nur noch 900 Meter von hier entfernt lag. Toni und Therese zog es noch ein paar Kilometer weiter.
„Die beiden werde ich bestimmt in den nächsten Tagen noch öfters treffen“ Dachte ich.

Zehn Minuten später stand ich in der Herberge und begegnete wiederum auf einen bekannten Pilger. Anton, ein Deutscher, dem ich einen Tag zuvor in Montcuq bereits begegnet war.

Im Gemeinschaftsraum hing eine Europakarte, auf welcher die Jakobswege quer durch Frankreich und Spanien eingetragen waren. Da sah ich, dass man in Moissac (für mich am nächsten Tag) endlich raus aus dem Zentralmassiv war. Jenen Gebirgszug, den ich seit Cluny (12. April) Tag für Tag unter meinen Füßen hatte.

Tag  53  –  09.05.2014  –  Auvillar  (35km)

Nach der Abreise aus der Gite, fand ich relativ schnell zurück auf den richtigen Weg und folgte diesem auf einer Landstraße über Saint Martin weiter nach La Baysse. Weitere zwei Kilometer folgten parallel zu Straße D16, bevor der Jakobsweg einmal links abbog und von hier an nur über Feld und durch Wald nach Moissac führte.

In Moissac angekommen wollte ich auch schon wieder raus. „Da kenne ich wirklich schönere Städte.“ Dachte ich.

Es folgten fast endlose Kilometer entlang eines Treidelweges am Ufer des Canal de Golfech, bis nach Espagnette.

Von dort aus hat der Pilger eine Auswahl von zwei Wegen, entweder weitere knapp acht Kilometer auf dem Treidelweg oder über eine Hügelkette.

Ich entschloss mich für die Variante über die Berge. Kurze Zeit später musste ich jedoch feststellen, dass ich lieber auf der Ebene hätte bleiben sollen, denn der Weg über die Hügel ließ sich aufgrund von sehr hohem Gras nur beschwerlich laufen. Auch ging es immer wieder bergauf und bergab, mehrere Male. Auf einem kleinen sehr steilen Stück nach unten stolperte ich über einem Grasbüschel und knickte mit dem rechten Fuß hefig um. Zum Glück gingen meine Wanderschuhe über die Knöchel. So wurde Schlimmeres verhindert und es blieb lediglich bei einer kleinen Zerrung.

In Malause trafen die beiden Varianten wieder zusammen und führten eigentlich über eine kleine Brücke zurück auf den Treidelweg. Leider war diese Brücke wegen Bauarbeiten gesperrt und man musste einen Umweg von drei Kilometern in Kauf nehmen. Eineinhalb in die eine Richtung, über eine andere Brücke drüber und schließlich noch die eineinhalb Kilometer wieder zurück.

Eine quälende Stunde später kam ich in Pommervio an und konnte endlich diesen geraden Weg entlang des Kanals verlassen.

Eine weitere Stunde verging auf der Landstraße bis nach Espalais. Von hier aus war es nur noch ein Katzensprung bis zum Etappenziel Auvillar. Jedoch verliefen die letzten 500 Meter sehr steil bergauf. Wieder entschädigte eine wunderschöne Aussicht für diese kleine Strapaze.

In der Herberge in Auvillar, begrüßte mich eine ältere Dame direkt auf Englisch und so schloss ich mich dem an und sprach ebenfalls englisch.

Sie zeigte mir Küche, Zimmer und Bett. Hier gab es sogar mal richtige Betten, so konnte also mein Schlafsack im Rucksack bleiben. Ein paar Minuten darauf stieß ihr Mann zu uns und fragte mich, wo ich herkomme. Ich antwortete: „Aus Deutschland!“ Da stellte sich raus, dass das Ehepaar ebenfalls aus Deutschland kam. So konnten wir uns dann in unserer Muttersprache weiter unterhalten.

Von ihm bekam ich noch ein Angebot: „Solltest du auf deinem restlichen Wege durch Frankreich einmal Hilfe benötigen. Dann kannst du Tag und Nacht anrufen!“
„Hoffentlich muss ich nicht darauf zurückkommen.“ Dachte ich.
Nicht dass es mich stören würde, die beiden anzurufen, aber ich hoffe, dass es nichts geben wird, was sich nicht anders lösen lässt.
Für dieses Angebot bedankte ich recht herzlich.

Gegen 21 Uhr vertrat ich mir noch ein wenig die Beine in diesem schönen kleinen Städtchen und da sah ich doch zwei sehr bekannte Personen auf der anderen Seite des Marktplatzes, Toni und Therese. Wir redeten kurz über die Hindernisse auf der Strecke (der Weg über die Hügel und die Baustelle), wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht und ein angenehmes Weiterkommen.

Tag  54  –  10.05.2014  –  Lectoure  (33km)

Halb acht gab es Frühstück und gegen acht Uhr stiefelte ich wieder los. Der Abschied aus dieser schönen Herberge fiel mir nicht gerade leicht. Bis nach Saint Antoine verlief der Jakobsweg fast nur entlang einer Landstraße. Außer einem kleinen Abschnitt, der über einen Schotterweg am Rande eines Feldes entlang führte. Auf dem anschließenden Weg nach Miradoux traf ich voller Überraschung auf Toni und Therese. „Wann sind die beiden, denn heute früh los?“ Dachte ich mir. Wir liefen bis in das Dorf zusammen, kauften jeder im kleinen ansässigen Supermarkt ein und machten auf einer Bank davor Rast.

Da ich etwas schneller zu Fuß war, verloren wir uns auf dem folgenden Wegabschnitt leider wieder.
Über Landstraßen und Feldwege kam ich durch das Dorf Castet-Arrouy und die Höfe Boué bzw. Pitrac nach Lectoure.

Genau wie am Vortag, musste man hier die letzten Meter ins Städtchen steil bergauf laufen.

In der Gite angekommen, wurde ich von einer jungen Frau begrüßt und bekam sofort einen kalten wohlschmeckenden Tee angeboten.

Eine Stunde später kamen Toni und Therese auch in der Herberge an. Gemeinsam gingen wir am Abend noch ein Bier in einer der vielen umliegenden Bars trinken.

Tag  55  –  11.05.2014  –  Condom  (34km)

Durch das ausgestorbene Dorf Marsolan kam ich nach fast 20 Kilometer Feldweg in La Romieu an. Ein Bild im Reiseführer machte darauf aufmerksam, dass sich hier eine im 14. Jahrhundert erbaute Stiftskirche mit schönem Kreuzgang befand. Leider war diese verschlossen.

Auch die letzten 15 Kilometer verflogen wie im Fluge und ich kam gegen 15 Uhr in Condom an. Bereits von weitem hörte man die Musik und die Ansagen eines Festivals, welches hier vom 9. bis 11.05. stattfand. Aus diesem Grunde wollte ich schnell in die Stadt hinein und zur Herberge. Leichter gesagt als getan, denn ich kam nicht weit. An der ersten Straße in der Altstadt hielt mich ein Polizist auf und deutete mir an, dass ich hier nicht ohne weiteres weiter laufen könnte, wenn ich nicht dafür bezahlen würde.

Ich versuchte, dem netten Herrn zu erklären (mit englisch, ein paar Wörtern französisch und Zeichensprache), dass ich ja nur auf der Durchreise bin und auch nur zu einer am Stadtausgang gelegenen Gite möchte. Er zückte sein Funkgerät und kommunizierte mit einem Kollegen, wie ich, denn ohne kostenpflichtige Straßen zu der Gite kommen könnte. Ein paar Augenblicke später erklärte er mir mit ein wenig englisch den Weg.

Kurze Zeit später, es war erst halb vier, stand ich vor der Herberge. Geschafft!

Der Gedanke: „Waren es aber wirklich 35 Kilometer in nicht einmal acht Stunden?“ stieg mir in den Sinn. Vielleicht wurde langsam aber auch meine Kondition immer besser.

Eine gute Stunde später kam schließlich auch das Schweizer Paar angelaufen. Sie „beichteten“ mir, dass sie, bereits seit halb drei hier waren, sich aber noch das Festival etwas angeschaut hatten.

Am Abend schrieben Antje und ich uns gegenseitig eine SMS. „Wo wir sind und wie es uns geht.“

Sie war mir in den wenigen Tagen, die wir uns hier bereits kannten und einige Zeit davon zusammengelaufen sind, doch schon irgendwie ans Herz gewachsen.
Eines wusste ich an diesem Tag bereits: Der Abschied von ihr in Roncesvalles wird nicht leicht.

Tag  56  –  12.05.2014  –  Eauze  (33km)

Die ersten 16 Kilometer bis nach Montreal (Ja, ich bin auch mal kurz in Kanada gewesen), teilten sich 50:50 in Landstraßen und wieder einmal wunderschöne Wege über Felder, Wiesen und durch Wälder.

Etwa auf der Hälfte dieser ersten Strecke lief man über eine Brücke, die Pont d’Artigues, über den Fluss Osse. Von hier aus waren es noch genau 1000 Kilometer bis nach Santiago de Compostela.

Einige Kilometer weiter (ca. vier hinter Montreal) hatte ich eine, naja sagen wir’s mal so: komische Begegnung.

Auf einem schönen Feldweg, welcher zur Abwechslung durch einen Weinberg führte, lief etwa 100 Meter vor mir ein Pilger, mit Wurfzelt und Isomatte am Rucksack.
Es gab ja immerhin recht viele Pilger, die im Freien übernacht hatten.
Was mich jedoch verwunderte, war, dass er mit dem Fuß immer am Wegesrand kratzte und durch das Gras strich. Da dachte ich erst, er hätte etwas verloren und suchte dies nun. Dann zupfte er immer wieder irgendwelche Pflanzen ab und steckte diese in eine kleine Umhängetasche.

Einige Minuten später überholte ich ihn und sah, dass er unter anderem einen ganzen Bund Frühlingszwiebeln und weitere Kräuter am Gürtel trug. Er ernährte sich offenbar von der Natur.

Wir kamen ins Gespräch. Er hieß Nico, Mitte 30, kam aus Frankreich (sprach aber auch gutes Englisch), war in Le-Puy gestartet und wollte, wenn alles gut geht, bis nach Santiago und auch wieder zurück nach Hause pilgern.
Ich fragte ihn, warum er denn ein Zelt usw. dabei hatte. Antwort: „Er lebe als Pilger von und mit der Natur.“ „Naja warum nicht.“

Kurze Zeit später machte er eine Pause am Wegesrand, ich lief weiter. So trennten sich unsere Wege leider wieder viel zu schnell. Er war schon ein etwas komischer Kauz.

Auch die nächste Begegnung hatte schon etwas Besonderes. Im Lamothe angekommen, sah ich ein Wohnmobil am Straßenrand stehen und wunderte mich über das Kennzeichen: ein Deutscher.

Beim Nachschauen, woher er denn kam, öffnete sich auch die Tür und ein Mann trat heraus. Er fragte mich spontan: „Deutscher?“
Ich: „Ja.“
Er: „Wohin des Weges?“
Ich: „Nach Santiago.“
Er verzog das Gesicht, so als ob er mir das nicht abkaufen wollte, und sagte nur noch so: „Na dann guten Weg.“

Von Lamothe bis nach Eauze führte mich der Jakobsweg sieben Kilometer durch eine alte Bahntrasse immer nur gerade aus. Man kreuzte zwei Landstraßen, ansonsten nichts.

Eineinhalb Stunden später war ich in Eauze angekommen und suchte das reservierte Hotel auf.

Warum ich an diesem Tag mal wieder in einem Hotel übernachtete und nicht in einer günstigeren Herberge, ist ganz einfach erklärt:
Toni und Therese luden mich ein. Obwohl ich die beiden erst seit einigen Tagen kannte, gleich so eine Ehre.
Beide kamen einige Minuten nach mir ebenfalls hier an.

Tag  57  –  13.05.2014  –  Arthun-le-Haut  (25km)

Schnell verflogen an diesem Tag die ersten Kilometer über kleine Straßen und durch Weinreben nach Manciet. Kurz vor dem kleinen Städtchen traf ich auf Toni, Therese, Evelyn und Ladina (die beiden kamen ebenfalls aus der Schweiz).

Evelyn und Ladina hatte ich bisher nicht erwähnt, weil wir noch nicht wirklich was miteinander zu tun hatten. Das erste Mal traf ich sie in der Herberge in Lectoure.

Gemeinsam machten wir eine kleine Pause neben einer alten, aber noch in Betrieb stehenden Stierkampfarena.

Auf dem folgenden Stück nach Nogaro verlor ich dann leider alle wieder.
Nogaro durchlief ich einfach, denn es hatte eh alles geschlossen.

Hinter der Stadt ging es über ein paar Schlammpisten durch einen Wald, später auf einer Landstraße zu einem Hof und von hier zurück auf die Hauptstraße.

Hier bemerkte ich, dass ich 600 Meter auf der Hauptstraße zurück in Richtung Nogaro gehen musste, um in Arthun-le-Haut anzukommen.

Kurz vor meiner Ankunft an der Gite kamen mir Toni und Therese entgegen und fragten: „Wo kommst du denn her?“
„Vom richtigen Weg, welcher durch den Wald führte. Leider war dieser jedoch ein Umweg.“
Auf der nicht viel befahrenen Straße wären es fast drei Kilometer weniger gewesen.

Beim Abendessen in der Herberge saß Emil, ein französisch sprechender Pilger aus La Reunion, mit am Tisch. Er war vor einigen Jahren dort aufgebrochen, pilgerte jedes Jahr einige Wochen und befand sich nun auf seinen letzten Etappen nach Santiago de Compostela.

La Reunion, hatte ich zwar mal gehört. Lies es mir aber einen Tag darauf erklären. Eine kleine Insel östlich von Madagaskar im Indischen Ozean gelegen und zu Frankreich gehörend. Wenn er von dort aus gelaufen war, dann könnte er in Santiago um die 20000 Kilometer in seinen beiden haben, je nachdem wie er durch Afrika gekommen war.
Dagegen sind meine bisherigen 1600 Kilometer nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin mehr als das doppelte der gesamten Strecke von meinem ersten Camino.

Tag  58  –  14.05.2014  –  Aire-sur-l’Adour  (25km)

Die ersten Kilometer gingen entlang der Hauptstraße, welche später zur viel befahrenen Nationalstraße wurde. Zum Glück konnte ich diese nach kurzer Zeit wieder verlassen und lief durch einen Wald weiter.

Ein Stück hinter einem namenlosen Dörfchen sah ich vor mir einen Pilger laufen und dachte: „Komisch, der Rucksack kommt mir aber sehr bekannt vor.“

Nun interessierte es mich, wer es denn war und so zog ich meine Schritte etwas an. Beim Überholen, schließlich die tolle Überraschung. Es war Ann aus Norwegen. Sie hatte ich seit der Tour über Figeac nicht mehr gesehen. Damals hatte sie mit sehr großen Fußproblemen zu kämpfen. Also fragte ich nach: „Was machen deine Füße?“
„Die sind wieder in Ordnung. Ich hatte mir mehrere Tage freigenommen und bin mit Bus und Bahn über Toulouse nach Cahors gefahren. Hier hatte ich weitere zweieinhalb Tage frei und bin dann wieder weiter gelaufen.“

Auch erzählte sie mir, dass sie im Zug nach Toulouse auf Gabriel den Kanadier traf. Er hatte sich kurzerhand dazu entschlossen, den Jakobsweg abzubrechen und in Richtung Mittelmeer zu fahren, um dort noch einige Zeit wandern zu gehen. Ihm gefiel der Jakobsweg einfach nicht richtig.

„Aber wo ist den dein German-Girl?“ Sie meinte Antje.
Ich erzählte ihr, dass wir uns vor etwa einer Woche getrennt haben, da sie einige Etappen mit dem Bus fahren wollte, um rechtzeitig in Saint-Jean anzukommen. Um dann noch mit mir gemeinsam bis nach Roncesvalles (die erste Etappe nach Spanien rein) zu gehen.

Gemeinsam mit Ann lief ich dann weiter in Richtung Aire-sur-l’Adour, dem Tagesziel.

Nach kurzer Zeit fragte sie mich: „Wie weit ist es eigentlich von deinem zu Hause entfernt, wenn du in Finisterre bist?“
„3100 Kilometer“, antwortete ich.
„Wow, a long long way!“ (Wow, ein langer langer Weg).
„Oh ja, das ist er.“

So langsam fing ich hier an, zu realisieren, was das eigentlich wirklich für eine gewaltige Strecke war, die ich da auf meinen eigenen Füßen bewältigte.

Einige Kilometer vor Aire-sur führte der Weg zunächst parallel zu einer Bahnlinie, bevor man diese überquerte und zwischen Feldern nach Barcelonne-du-Gers kam. Auf diesem kleinen Stück brannte die Sonne dann so sehr, dass ich mir sicher war, mal wieder einen Sonnenbrand zu bekommen.

Von hier war es nur noch ein guter Kilometer bis nach Aire-sue-l’Adour.

Vorbei an einer kleinen Bar, an der Ann eine Pause machte, lief ich durch die Stadt hindurch auf der Suche nach meiner Gite.

Hier angekommen bekam ich einen leckeren Anis-Tee als Begrüßungstrank angeboten, welchen ich natürlich nicht ablehnte.

Im Laufe des restlichen Nachmittags füllte sich die Herberge immer weiter, auch Emil war hier gelandet.

Am Abend saß ich im großen Garten und telefonierte kurz mit Antje. Sie erzählte mir, dass sie einen Tag zuvor 27 Kilometer mit einem Schwaben zusammengelaufen und total kaputt war.

Als ich auflegte, fragte mich ein ziemlich gut gebauter Mann (anders gesagt ein Schrank von einem Mann) auf Deutsch: „Ob ich denn Daniel aus Jena bin?“
Ich wunderte mich erst, sagte dann aber wahrheitsgemäß „Ja“.
Er habe meinen Eintrag in einem Pilgerbuch in einer kleinen Kapelle am Vortrag gesehen.

Ich hatte mich am Vortag in ein Pilgerbuch, welche in vielen Kapellen bzw. Kirchen ausliegen, eingetragen.

Beim Erzählen glaubte ich, einen leichten Dialekt herauszuhören und fragte ihn: „Bist du der Schwabe, der gestern mit Antje aus Berlin zusammengelaufen ist?“
„Ja bin ich. Antje war eine sehr nette Begleitung. Ich heiße übrigens Frank.“

Er war nun bereits das dritte Jahr auf dem Jakobsweg unterwegs. Nach Deutschland lief er durch die Schweiz und auf der Via Gebennensis nach Le-Puy. In diesem Jahr wollte noch bis nach Pamplona (drei bis vier Tage in Spanien) kommen.

Tag  59  –  15.05.2014  –  Arzacq-Arraziguet  (32km)

Nach einem sehr guten Frühstück in der super Herberge fiel es mir mal wieder schwer, meinen Rucksack zu packen und gegen acht Uhr los zu marschieren.

Die ersten Kilometer führten entlang des Sees Lac du Broussau (hier kam mir die spontane Idee für ein Bild mit Selbstauslöser) und später quer durch Felder auf Trampelpfaden bzw. asphaltierten Wegen.

Gegen halb zehn Uhr erblickte ich im Westen eine schneebedeckte Gebirgskette, die Pyrenäen, endlich! Nun war fast ganz Frankreich bereits durchwandert.

Nach einer kleinen Pause in Miramont-Sensacq kam ich auf der Straße in das winzige Dorf Pimbo. Hinter dem Dorf verlief ich mich, da ich einen abzweigenden Weg übersah.

Die Straße führte ganz bergab und ich kam einige Zeit später an einem Feld heraus. Hier sah ich: Nichts. Kein Wegweiser, kein Schild, kein Weg.

So drehte ich um und lief bergauf zurück in Richtung Pimbo, natürlich auch vorbei am Abzweig, den ich eigentlich hätte nehmen sollen. „Wie konnte ich den nur übersehen haben?“ Dachte ich, denn er war eigentlich groß genug.

Die letzten fünf Kilometer nach Arzacq-Arraziguet verlief der Jakobsweg leider entlang einer Landstraße. Hier lief Frank schließlich vor mir. Als ich ihn einholte, fragte er überrascht: „Wo kommst du denn so plötzlich her?“
Ich: „Ach ich hatte hinter Pimbo den Abzweig verpasst und bin ein paar Kilometer falsch gelaufen.“

Wenige Minuten später waren wir gemeinsam in der Herberge angekommen.

Eine kleine Story beim Check-in:
Vor mir war eine Gruppe von Franzosen, denn das konnte ich mittlerweile hören. Alle nur bepackt mit einem kleinen Tagesrucksack. Sie bezahlten gerade und eine Frau sagte etwas im schroffen Ton zu einem Mann. „Jetzt holen sie doch endlich mal unsere Koffer aus dem Wagen!“ interpretierte ich das Gehörte aufgrund des Handzeichens der Frau. Der Mann lief an mir vorbei, musterte mich von oben bis unten, lächelte, deutete auf die Frau und verdrehte dann die Augen. Er lief zu dem vor der Herberge parkenden Großraum-Taxi und räumte den Kofferraum leer. Da war mir klar, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag.
„Was machen solche Leute nur in einer Pilgerherberge?“ Dachte ich. Zum Glück ist das in Spanien ganz anders.

Am Abend traf ich auch wieder auf Toni, Therese und auch auf Evelyn und Ladina. Die beiden haben von mir den Spitznamen „Schweizer Engel“ bekommen. „Irgendwie passte der zu den beiden Pilgerinnen.“
Da wir uns nun bereits seit fast zwei Tagen nicht mehr gesehen hatten, gab jeder seine Erlebnisse der vergangenen Tage zum Besten.

Mit dem Eintritt in Arzacq-Arraziguet hatte man nun auch das letzte der französischen Departments, Pyrénées-Atlantiques, auf der Via Podiensis erreicht.

Tag  60  –  16.05.2014  –  Arthez-de-Bearn  (31km)

Neun Uhr hatte ich an diesem Tag bereits einige Kilometer hinter mir.

Über asphaltierte Wege lief ich durch das Pyrenäen-Vorland über die Weiler Lou Castet und Moundy nach Fichous-Riumayou und schließlich auf einer Straße steil bergab nach Larreule.

Dieser eher unscheinbare Ort hatte aber für mich eine größere Bedeutung. Denn es waren ab hier keine 1000 Kilometer mehr bis ans Ende der Welt.
Laut Adam Ries hatte ich nun schon um die 1700 Kilometer hinter mir.

Die folgenden Kilometer führten nur über die Landstraße durch die Dörfer Uzan, Géus-d’Arzacq, Pomps und Castillon.

Von hier sollten es noch ca. vier bis fünf Kilometer sein, diese waren jedoch die Schlimmsten seit langer Zeit. Es ging nur steil bergauf.

Hier gesellten sich Toni, Therese und Ann wieder zu mir. Gemeinsam schafften wir die Anstrengung und kamen in der Herberge in Arthez-de-Bearn an. Wenige Minuten später kam Frank, der Erschöpfung nahe, auch noch an.

Kurz bevor es Abendessen gab, schloss ich Bekanntschaft mit dem Deutschen Alois, aus dem Allgäu. Er war vor einigen Jahren bereits schon auf dem Camino Frances in Spanien unterwegs gewesen und wollte es nun mit 75 Jahren auf der Strecke von Le-Puy nach Saint-Jean noch einmal wissen. Sein Arzt hat ihm dringend von diesem Vorhaben, aus gesundheitlichen Gründen abgeraten. Darauf pfiff er jedoch und dachte: „Ich werd’s schon packen.“

Beim Abendessen gab der Betreiber Bescheid, dass das Frühstück am nächsten Tag nicht hier in der Herberge stattfinden sollte, sondern in der Bäckerei. Einige hundert Meter weiter in den Ort hinein, aber direkt am Jakobsweg gelegen.

Kurz vor dem zu Bett gehen stellte ich mir die Frage, wo denn all die Pilger sind, die ich bereits auf meinem langen Weg getroffen hatte bzw. wie es ihnen wohl gehen wird.

Wo steckt z.B. Jen Ching der Südkoreaner. Nach ihm hat mich Ann auch schon gefragt. Ob er seine Fußprobleme hinter sich gebracht hat?

Oder der Kanadier und die deutsche Frau, den ich die ersten Tage hinter Le-Puy getroffen hatte.

Meine beiden fliegenden Elfen, Monika und Doris sind hoffentlich wieder gut in Deutschland angekommen und planen bereits ihre nächste Woche auf dem französischen Jakobsweg.

Zu guter Letzt würde es mich natürlich brennend interessieren, wo Otto steckt. Hat er es bereits bis nach Saint-Jean geschafft oder vielleicht doch aufgegeben?

Tag  61  –  17.05.2014  –  Navarrenx  (33km)

Zusammen mit Ann und dem Schweizer Paar lief ich am frühen Morgen los, auf den Weg zur Backstube, wo wir das Frühstück bekommen sollten.

In einem Hinterzimmer bzw. dem Pausenraum des Personals stand bereits ein Tisch für uns bereit. Reichhaltig gedeckt und natürlich mit frischgebackenen Leckereien. So was hatte ich ja auf meiner ganzen bisherigen Reise noch nicht erlebt. Gut gestärkt zogen wir dann weiter. Bei unserem Aufbruch kam Alois gerade an der Backstube an. Wir wünschten uns gegenseitig alles Gute für den Weg. „Bin gespannt, ob ich ihn noch mal sehen werde.“

Leider führte der Weg später dann nur entlang einer Landstraße. Eine kleine Pause machten wir vier in Sauvelade, bevor es auf die letzten ca. 14 Kilometer Richtung Navarrenz ging.

Es war nicht mehr weit in das Städtchen, da gab es eine sonderbare Begegnung:
Uns kam doch allen Ernstes eine Pilgerin entgegen. Ihr Rucksack war fast größer als sie selbst.
Wir fragten sie, woher sie denn kommt. Sie erzählte völlig aufgelöst, dass sie vor langer Zeit von Estland nach Rom geflogen und  von dort aus gestartet war. Bis nach Santiago gepilgert ist und sich nun auf dem Rückweg nach Rom befindet. Aus Santiago wollte sie so schnell wie möglich wieder weg, weil die Mehrheit der Pilger nur noch die sportliche und hektische Seite des Weges kennt. Das gehöre für sie nicht hierher.

Sie zog weiter und wir ebenfalls. In einem kleinen schattigen Wäldchen machten wir Rast und da kam Frank auch schon an gelaufen.
Er fragte uns: „Habt ihr auch diese Pilgerin getroffen? Sie hat sich doch glatt drei Mal bekreuzigt, bevor sie an mir vorbei gelaufen ist. Sehe ich denn wirklich so gefährlich aus?“

Vor Navarrenz durchläuft man noch ein Wohngebiet, bevor man den eigentlichen Ort erreicht.

Ann und ich hatten ohne es vorher zu wissen in einer Gite reserviert, welche sich noch zwei Kilometer außerhalb des Ortes befand. Toni, Therese und Frank kamen alle direkt im Ort unter. So trennten wir uns am Ortseingang.

„Bestimmt werde ich die Drei spätestens in Saint-Jean (zwei Tage darauf) wiedersehen.“

Tag  62  –  18.05.2014  –  Ostabat-Asme  (43km)

An diesem Tag stand für mich die längste der bisherigen Touren bevor; 43 Kilometer bis zu einem umgebauten Bauernhof kurz hinter Ostabat.

Nachdem ich mich noch von Ann verabschiedet hatte, brach ich auf.

Über eine Landstraße kam ich nach ca. zwei Stunden in Lichos an und traf auf die beiden Schweizer Engel, Evelyn und Ladina.

Gemeinsam liefen wir die vier Kilometer bis nach Aroue. Hier machten wir eine Pause. Kurze Zeit später trennten sich unsere Wege dann auch schon wieder, denn ich hatte ja noch ein ganz schönes Stück vor mir.

Auf einem Feldweg durch den Wald führte der Jakobsweg nun leicht bergauf und bergab durch die Wälder.
Etwas später konnte ich nicht glauben, wer da vor mir lief, die beiden Schweizer Engel. Wie hatten die mich denn überholt?
Sie erzählten mir, dass es eine Abkürzung über eine Straße gab.
So liefen wir noch mal ein kleines Stück zusammen.

An einer Pausenbank im Wald lag ein Pilgerbuch, eines der vielen entlang des Weges, in dem sich die vorbeikommenden Pilger eintrugen.

Die beiden und auch ich hinterließen je einen Eintrag und ich blätterte einfach mal so durch die letzten Seiten.

Ich zuckte zusammen, als ich las, wer denn da am 16.05. (zwei Tage zuvor) einen Eintrag hinterlassen hatte. „Otto aus Köln“

Die beiden Engel erzählten mir, dass auch sie schon Otto getroffen hatten, im Aubrac-Hochland. Sie könnten sich noch gut daran erinnern, denn er zog sich dort als Ergebnis eines Sturzes eine kleine Platzwunde an der Nase zu. Dies war das erste Lebenszeichen von Otto seit langer Zeit.

Auf dem darauf folgenden Wegabschnitt verlor ich die beiden Engel dann leider wieder.

Durch einen weiteren Wald hindurch kam ich vor Hiriburia wieder auf eine kleine Straße. An dieser Stelle befand sich nur 50 Meter rechts von mir der „Stein von Gibraltar“. Jene Stelle, an der die drei großen französischen Jakobswege zu einem einzigen Weg zusammentreffen.

Die Via Podiensis (von Le-Puy-en-Velay aus verlaufend, mein Weg), die Via Lemovicensis (von Vezelay über Limoges) und die Via Turonensis (von Paris über Orleans, Tours und Bordeaux).

Auch befand sich hier ein Wegweiser, der anzeigte, dass es nur noch etwa sieben Stunden Gehzeit bis nach Saint-Jean wären. Einige Augenblicke spielte ich mit dem Gedanken, dies zu wagen. Aber ob ich gegen 22 Uhr noch ein freies Bett bekommen würde, stand in den Sternen und es wären dann auch 60 Kilometer. „Lieber doch nicht!“ Entschloss ich mich.

Von hier führte ein steiniger sehr steiler Weg hinauf zur Chapelle de Soyarza. Ein atemberaubender Ausblick war das Ergebnis.

Steil bergab ging es nun über Harambeltz auf der Landstraße nach Ostabat.

Im Straßengraben bemerkte ich, wie sich da etwas bewegte. Wie aus dem Nichts kam da eine ca. zwei Meter lange giftgrüne Schlage zum Vorschein und schlängelte ich so dahin. Sie verschwand Augenblicke später wieder im Gebüsch.
War dies eine Halluzination, ein Ausdruck meiner Erschöpfung oder war dieses Tier Realität?

Die Bauernhof-Herberge befand sich noch mal einen guten Kilometer hinter Ostabat und so kam ich fast vollkommen entkräftet kurz nach 18 Uhr dort an.
„Nun erst mal eine schöne Dusche.“ Dachte ich mir.

Kurz vor dem Abendessen um 19 Uhr traute ich meinen Augen nicht. Da kam doch tatsächlich Frank auch noch hier an. Er sah fast „halbtot“ aus.

Zusammen mit Frank genoss ich nach dem Essen, auf der Terrasse, noch eine Zeitlang die Aussicht auf die umliegenden Berge.

Tag  63  –  19.05.2014  –  Saint-Jeant-Pied-de-Port  (23km)

-Der letzte Tag auf der Via Podiensis-

Vom Bauernhof in Ostabat führte der Jakobsweg an diesem Tag fast ausschließlich über kleine Straßen parallel zu D933 und kreuzte diese einige Male.

Bei einer Mittagspause in Saint-Jean-le-Vaux traf ich durch Zufall auf ein deutsches Paar.
Ich saß gerade in einer Bar am Straßenrand und trank eine kalte Cola, da kamen die beiden rein und setzten sich an einen Tisch. Nachdem sie bestellt hatten, fragte er Sie, wie weit es denn noch bis nach Saint-Jean ist. Bevor sie antwortete, sagte ich: „Etwa vier Kilometer.“

So kamen wie schließlich ins Gespräch. Die beiden hießen Gerda und Wolfgang, sind vor einigen Wochen in Le-Puy gestartet und hatten nun ihren letzten Tag. Am Tag darauf fuhren sie wieder zurück in Richtung Heimat.

Auch sie waren sichtlich erstaunt darüber, wo ich gestartet war und dass hier und an diesem Tag zwei Drittel der Strecke hinter mir lagen.

Gemeinsam liefen wir nun noch das verbleibende kurze Stück bis nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Vor diesem wunderschönen kleinen Städtchen, am Fuße der französischen Pyrenäen, meinte es der Weg doch noch einmal ernst. Er führte einige hundert Meter kräftig bergauf.

Der Stadteingang präsentierte sich mit einem Portal, durch welches der Pilger schreiten musste, die „Porte Saint-Jac“. Ein nur etwa drei Meter breiter und drei Meter hoher Torbogen.
„Irgendwie hatte ich den mir größer und bedeutender vorgestellt, aber naja es kommt eben nicht auf die Größe drauf an.“ Dachte ich.

Wir trafen genau zum richtigen Zeitpunkt ein, denn das Pilgerbüro, welches sich nur wenige Meter weiter auf der rechten Seite der kleinen Gasse „Rue de la Citadelle“ befand, öffnete gerade und war somit noch nicht sehr voll.
Hier bekamen wir einen Stempel und ich zusätzlich eine Liste mit Unterkünften für Spanien.

Danach stellte sich heraus, dass wir im gleichen Gästehaus reserviert hatten, so konnten wir noch bis dahin gemeinsam laufen, nur etwa 50 Meter vom Pilgerbüro entfernt.

Wir wurden hier von einer netten älteren Dame herzlichst empfangen und ich war ein wenig überrascht, dass sie relativ gutes Deutsch konnte. Sie zeigte uns die Zimmer und bot uns auch gleich an unsere Wäsche mit der Waschmaschine zu waschen.

Meine hatte es auch bitter nötig. Nachdem ich diese, fast zwei Monate lang, nur mit Handwäsche pflegte.

Nach einem kleinen Nickerchen machte ich mich auf dieses Städtchen zu erkunden. Ich kaufte die ersten Postkarten und endlich wieder einen neuen Hut.

In einer Seitengasse kamen mir die Schweizer Engel Evelyn und Ladina sowie Frank, der Deutsche aus dem Schwabenland entgegen. Wir machten uns einen Treffpunkt für den Abend zum Essen aus, denn dies sollte wahrscheinlich die letzte Gelegenheit für uns sein, dass wir gemeinsam beisammensitzen konnten, denn alle drei hatten vor, am nächsten Tag weiter zu ziehen.

Nun wollte ich aber noch unbedingt zur Post, um meinen zweiten Reiseführer, ein paar Prospekte und auch mein eher nutzloses Laufshirt zurück nach Hause zu schicken. Hier klappte alles reibungslos, auch das Bezahlen. Ich erinnerte mich noch sehr gut an die Schwierigkeiten in der Poststelle von Le-Puy.

Seit meinem Start in Mainz, ist mein Rucksack nun um fast ein Kilogramm leichter geworden und so langsam verstand ich auch den Spruch:
„Der Camino ist wie das Leben. Je mehr du in den Rucksack packst, desto schwerer kannst du laufen. Je mehr du loslässt, desto befreiter kannst du leben.“

Am Abend suchten die Schweizer Engel, Frank und ich uns ein nettes Restaurant, eine Pizzeria und ließen diesen schönen Tag gesellig ausklingen.

Tag  64  –  20.05.2014  –  Saint-Jeant-Pied-de-Port  (0km)

Diesen Tag (mein Ruhetag) begann ich relativ spät, zumindest für einen Pilger.

Meine doch so gute Laune wurde leider nach einem Blick nach draußen etwas nach unten gedrückt, denn es blitzte, donnerte und regnete in Strömen.

Um halb neun gab es für Gerta, Wolfgang und mich Frühstück. Die beiden Hunde der Besitzerin spielten total verrückt.
„Liegt das an uns?“ Fragten wir.
Sie: „Nein nein, die beiden haben immer solche Angst, wenn es gewittert.“
Aber sie hatte auch schon eine Lösung parat, eine kleine Tropfflasche mit Lavendelöl (dachte ich, nachdem ich daran gerochen hatte). Davon bekam jeder Hund einen Tropfen auf den Nasenrücken geschmiert und sofort wurden die beiden tatsächlich ruhiger.

Gegen neun Uhr, es hatte erst einmal aufgehört zu regnen, verabschiedete ich mich von Gerta und Wolfgang und zog dann in die Stadt. Die beiden fuhren im Laufe des Vormittages mit dem Zug zurück nach Deutschland.

In einem Souvenirshop kaufte ich noch einige Postkarten und verzog mich anschließend in eine Bar, es hatte mittlerweile wieder angefangen zu regnen. Hier schrieb ich nun Tagebuch und die ersten (vielleicht sogar die letzten) Karten.

Am frühen Nachmittag traf ich unverhofft auf Toni und Therese.
„Du weißt, doch bestimmt schon, wo der Bahnhof ist?“ Fragten sie mich.
Ich zeigte den beiden die grobe Richtung. Sie mussten nun erst einmal Tickets für ihre Heimreise in die Schweiz holen.

Kurze Zeit später dann die nächste Überraschung. Inmitten der vielen Gassen lief mir Alois, der 75-Jährige, den ich in Arthez-de-Bearn kennengelernt hatte, direkt vor die Füße. Er hatte es seinem Arzt gezeigt, er hat diese Strecke ohne größere Beschwerden gemeistert. Man kann eben doch alles schaffen, was man sich vornimmt. „Es kommt nur darauf an, wie viel man sich selbst zutraut und wie sehr man an sich selbst glaubt.“

Wenn ich so auf die vergangenen 64 Tage zurückblicke, dann hätte ich so manche Tour auch nicht schaffen können, wenn ich nicht an mich selbst geglaubt hätte.

Gegen halb vier Uhr traf ich das Schweizer Paar an der Touristeninformation wieder, wir redeten noch ein wenig Miteinander, bevor sie sich auf den Weg zu ihrem Hotel machten.

Ein wenig später, es war kurz nach 16 Uhr, klingelte ich Antje an um zu fragen, wo sie steckt.
„Bin gerade am Pilgerbüro. Wo bist du?“
Ich: „An der Touristeninformation!“
Sie: „Warte dort, ich bin gleich da.“
Wenige Minuten später stand sie mir gegenüber.

„Schon irgendwie ein seltsames Gefühl, sie nach fast zwei Wochen wieder zu sehen.“

Zusammen gingen wir zum Gästehaus. Hier hatte ich ja zwei Nächte reserviert und eben die zweite Nacht für zwei Personen.

Halb sechs Uhr liefen wir wieder los um mit einigen Pilgerbekanntschaften ein zwei Bier trinken zu gehen, auch Ann war mit von der Partie.
Bevor die Geschäfte dichtmachten, kauften Antje, Ann und ich noch Nahrungsmittel ein. Wir wollten am nächsten Tag in der Herberge in Roncesvalles kochen.
Danach gingen wir drei noch gemütlich essen und anschließend zu unseren Schlafstellen. Ann in ihre Gite, Antje und ich in unser Gästezimmer.

Wir zwei redeten noch bis etwa halb zwölf in der Nacht. Über die vergangenen Tage, den Jakobsweg und was uns sonst noch so in den Kopf schoss.

Toni und Therese hatte ich leider nicht noch einmal gesehen, so konnte ich mich nicht einmal so richtig von ihnen verabschieden. Zum Glück hatten wir aber mal die Handynummern & Email-Adressen getauscht. So konnten wir wenigstens den Kontakt halten. (09.10.2014 – und dieser hält bis heute an)

„1800 Kilometer liegen nun hinter mir. Ich habe Deutschland gut zur Hälfte und Frankreich komplett durchlaufen. Jetzt freue ich mich auf Spanien, besonders auf den Teil der Strecke, den ich noch nicht kenne.
Aber ich muss auch zugeben, dass wenn ich könnte, ich jetzt gerne noch einmal in Deutschland anfangen würde.“

(Text als PDF)

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