Teil 1 – Anreise und Burgos bis León
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Ungefähr 3 Wochen vor meiner Abreise, packte ich meinen Rucksack und dachte mir dabei: „Ne Nummer größer hätte auch gut gepasst.“ Habe aber doch alles gut rein bekommen und so stand er dann noch gute 3 Wochen rum (natürlich immer wieder mal aus- und umgepackt :))
22.04.2012 Paris und Zug nach Burgos
>Abenteuer Deutsche Bahn<
Gestern fuhr ich mit dem Zug von Erfurt nach Frankfurt am Main und schlief eine Nacht im Manhattan-Hotel (das kenne ich ja mittlerweile seit 3 Jahren).
Als ich nun heute Vormittag auf den Bahnhof kam und auf der Anzeige für mein Gleis schaute, dachte ich nur: „Oh, nein.“ Der ICE von hier nach Paris fällt aus, der Ersatzzug hat schon 20min Verspätung. Etwa 1,5h später stand ich in Darmstadt auf dem Bahnhof. Der Ersatzzug hatte nicht nur eine Verspätung sondern jetzt auch noch Probleme mit den Bremsen und konnte nicht weiterfahren. Mein einziger Gedanke war jetzt nur noch: „Hoffentlich komme ich noch rechtzeitig in Paris an“. In Paris habe ich nur etwas über 2 Stunden um den Bahnhof zu wechseln und meinen Anschlusszug nach Burgos (Spanien) zu bekommen. Nach langer Wartezeit auf dem Bahnsteig, hieß es dann nur: „Der richtige Zug kommt!“ Man, hatte ich Glück. Einige Zeit später saß ich im richtigen Zug auf den reservierten Platz und war auf den Weg in Richtung Paris. Auf der Fahrt hatte der ICE dann eine Verspätung von ca. 120min herausgefahren. Im Zug lernte ich eine junge Familie kennen, die auch auf dem Weg nach Paris war, von ihnen bekam ich schon vorab ein Metro-Ticket.
>>Sollten Sie das lesen, vielen herzlichen Dank dafür! Ohne das Ticket hätte ich meinen Anschlusszug vergessen können. <<
Kurz vor 19 Uhr kam ich in Paris an und machte mich im Laufschritt auf den Weg zur Metro. Die brauchte dann ca. 15min zum anderen Bahnhof, ich lief schnell zum Nachtzug nach Burgos und stieg ein. Gerade noch rechtzeitig, 3-5 Minuten später fuhr er los.
23.04.2012 Hornillos del Camino (21km)
Die Nacht im Zug war relativ entspann, kurz nach 5 Uhr morgens stand ich im menschenleeren Bahnhof in Burgos, draußen noch tiefste Dunkelheit. Meine Gedanken waren jetzt: „Nun stehe ich hier in Burgos, dem Startpunkt meiner Reise und könnte eigentlich losgehen, aber draußen ist es Nacht.“ Ich machte nicht trotzdem auf den Weg durch die Stadt, zur Kathedrale (die wird sicherlich schön beleuchtet sein). Stunden später (es war schon 8 Uhr), nachdem ich mich „durchgefragt“ hatte, stand ich vor der Kathedrale. Hier sah ich dann auch die ersten Pilger und dachte mir so: „Es kann nichts schaden denen mal zu folgen“. So folgte ich dem Pilgerstrom stadtauswärts. Durch einen Park und vorbei an der juristischen Fakultät der Universität ging es aus der Stadt, über eine Piste, in Richtung Tardajos (meinen eigentlichen Tagesziel). Nach nur 11km saß ich in einer Bar und trank meinen ersten spanisch Kakao. Da es noch ziemlich früh am Tag war (nicht mal Mittag), lief ich einfach weiter. Über Rabé de las Calzadas ging es auf eine Hochebene. Hier fing es auch leicht an zu regnen und mein Poncho kam das erste Mal zum Einsatz. Auf jeder neuen Erhebung über auf der Hochebene dachte ich nur: „Wann kommt denn endlich der Ort“. Nach der Letzten sah ich dann Hornillos del Camino und gab erstmal einen kleinen Jubelschrei von mir. Eine gute Stunde später kam ich in der Herberge an, hier bekam ich meinen 2. Stempel (den Ersten habe ich mir in der Pilgerherberge in Burgos geholt) und ein schönes Bett. Jetzt gönnte ich mir erst einmal eine schöne warme Dusche (nach ca. 30 Stunden ein echtes Wohlgefühl). Bei einem kleinen Spaziergang durch das Dorf sah ich an einer Hauswand einen Wegweiser nach Santiago mit der Kilometer-Zahl 469 (tatsächlich sind es aber ca. 30km mehr). Am Abend lernte ich auch die ersten Mitpilger kennen, Elizabeth aus Polen, Aase aus Dänemark zusammen mit Marta aus Griechenland (Elizabeth und Aase sprechen gut deutsch), James aus England und 3 Spanier (wahrscheinlich 2 Brüder mit ihrem Vater). Gegen 21 Uhr legte ich mich schlafen (die erste Nacht in einem Schlafsack).
Noch eine kleine Bemerkung zur Landschaft: Ab Hornillos fängt die Meseta an, eine Hochebene, welche kaum mit Bäumen bewachsen ist. Folglich kann man irrsinnig weit schauen.
24.04.2012 Castrojeriz (21km)
Meinen ersten richtigen Tag auf dem Camino begann ich mit den 3 Frauen, gemeinsam liefen wir über Feldwege nach Hontanas. Auf dem Weg wurden wir von einem andauernden sehr starken Wind begleitet, welcher die gefühlte Temperatur auf ca. 5°C senkte. In einer Bar in Hontanas machten wir eine kleine Pause, hier machten wir eine flüchtige Bekanntschaft mit einem Fahrradpilger aus England. Weiter führte uns der Weg am Kloster San Antón vorbei nach Castrojeriz, hier schlafen wir. In der Herberge habe ich dann auch das erste Mal Wäsche gewaschen. Anschließend lief ich noch ein wenig durch das Dorf, kaufte im Supermarkt einige kleinere Vorräte (Kekse und Bananen) und aß dann in einer Bar zu Abend.
Meine Gedanken der ersten beiden Tage:
Solche Schmerzen in den Beinen und Schultern hatte ich sehr lange nicht, meine Füße sind aber in einen makellosen Zustand. Im Kopf ist seit 3 Tagen, eine Frage: „Warum tu ich mir das nur an?“
25.04.2012 Frómista (26km)
Der Wind lies uns auch heute nicht in Ruhe. Von Castrojeriz aus, ging es erst einmal wenig bergab zum Ortsausgang, dann aber steil bergauf (12%) auf einen Tafelberg. Die erste richtige Steigung, die ich bewältigen muss. Oben angekommen hatten wir einen wunderschönen Blick zurück auf das Stück Meseta, welches wir schon durchquert haben. Nach einer kleinen Trinkpause folgte der Abstieg (18% Gefälle) auf einer Betonpiste, die durch kleine Steine und Sand an manchen Stellen sehr rutschig war. Nach etwa 10km kamen wir im alten Kloster „San Nicolás“ an, wo man für eine Spende heißen Kaffee/Tee und Brot mit Marmelade bekommt. In der Not kann man hier auch übernachten, mit einem einzigen Nachteil: kein Strom. Weiter ging es durch die Orte Itero de la Vega und Boadilla del Camino nach Fromista. Auf den letzten Kilometern blies der Wind dann so heftig, dass meine Wanderstöcke fast waagerecht gestanden hätten, wenn ich sie nur an den Schlaufen getragen hätte. In der Pilgerherberge von Fromista angekommen las ich im Reiseführer nach, wie viele Kilometer wir heute gelaufen sind: 26. Durch den Wind, vielleicht auch durch meinen Kopf, fühle ich mich, als hätte ich 36km in den Beinen. Hier lernte ich 2 weitere Deutsche kennen, Roland und Markus, beide laufen auch mehr oder weniger zusammen. Zu später Stunde hat es angefangen sehr stark zu regnen, ich kann nur hoffen, dass dies bis morgen wieder aufhört.
Ein Gedanke:
Es ist schon erstaunlich, mit wie viel Kleidung man auskommt, nämlich mit extrem wenig.
26.04.2012 Carrión de los Condes (20km)
Heute ging es entlang der Pilgerautobahn, wie das Stück im Reiseführer genannt wird. Leider fast nur immer neben der Landstraße. Kleinere Pausen gönnten wir uns in Revenga, Villarmentero und Villacázar de Sirga, im letzteren hat ein junges Paar aus Irland eine kleine Herberge mit Bar und wunderschönen Garten hergerichtet. Auf dem letzten Stück bis nach Carrión überholte mich dann auch noch ein Wohnmobil aus Deutschland. Ob die wohl auch nach Santiago wollen? Eine schöne Übernachtungsmöglichkeit fanden wir in der Pilgerherberge des Klosters „Hijas de la Caridad de San Vicente de Paul“ 20 Uhr war in der benachbarten Kirche Messe, der Priester bat am Schluss alle Pilger nach vorn vor den Altar, hier mussten wir dann unser Herkunftsland sagen und bekamen alle einen „eigenen“ Segen mit auf dem Weg. Meine Gefühle während und nach der Messe kann ich nicht in Worte fassen, es ist schon erstaunlich mit so vielen anderen Menschen, aus so vielen verschiedenen Ländern (Deutschland, Österreich, Frankreich, USA, Irland, England, Italien, Spanien, Brasilien, Thailand, Polen, Griechenland, Dänemark, …), im Einklang zu sein und das gleiche Ziel vor den Augen zu haben. Nach der Messe kam mir ein Sprichwort in den Kopf: „Nicht zum Ziel führt der Weg, sondern der Weg ist das Ziel!“ Kann das auf den Jakobsweg zutreffen?
Heutige Gedanken
– Habe das Gefühl, dass sich Knoten bzw. festsitzende Gedanken aus meiner Vergangenheit langsam lösen.
– Fange an die Pilgerherbergen zu mögen, auch wenn man den ganzen Tag alleine wandert abends in den Herbergen fühlt man sich dann immer wie ein Teil einer großen Familie.
27.04.2012 Calzadilla de la Cueza (18km)
18km waren es heute nur. Gegen 6:30 Uhr wurden wir mit wunderschöner Musik geweckt, leider habe ich nur ein Lied erkannt „The last Unicorn“. Nachdem wir Carrión verlassen und 6km auf einer Landstraße bewältigt hatten, führte der Camino 12km auf einer Schotterpiste immer nur gerade aus. Dieser Teil des Jakobsweges durch das „wahre Herz der Meseta“ hatte etwas Besonderes, denn wir sahen so gut wie nichts: 2 Autos, eine Scheune mit Stroh und eine kleine Überdachung für Pilger, das war’s auch schon. Es mag anstrengend sein, dieses Stück zu laufen, aber wenn man erstmal in Calzadilla de la Cueza ist, ist man überglücklich, es geschafft zu haben. Nach einer kleinen Pause in der einzigen Bar im Ort ging ich in die private Albergue und legte mich aufs Ohr, aus welchem Grund auch immer, ist heute bereits nach 18km die Luft raus. Zwar ist heute die 100-km-Grenze gebrochen (1/6 meines geplanten Weges ist also geschafft), doch ich kann nicht mehr weiter.
28.04.2012 Sahagún (23km)
Über einen einfachen Feldweg ging es heute zunächst nach Ledigos und anschließend nach Terradillos de los Templarios, wo ich mich mit einem Boccadillo (Baguette mit Käse und Schinken) stärkte. Weiter führte der Weg nach San Nicolas und letztendlich nach Sahagún. Auf der Suche nach der Herberge traute ich meinen Augen nicht, ich sah ein Irish Pub. Ein Bett fand ich schließlich in der privaten Herberge „Viatoris“. Am späten Nachmittag las ich im Reiseführer, dass es morgen bis nach Religos 32km sind. Wenn ich die schaffe, dann toppe ich meine bisher längste Wanderung von 29km (Irland 2011). Mal schauen, was der nächste Tag bringt. Gegen Abend konnte ich nicht widerstehen und genoss 2 Guinness und das in Spanien. Das Pub sah von innen aus, wie ein Irisches. Mit 4,40€/0,5l ist es hier zwar teurer als in den ländlich traditionellen Pubs, aber immer noch preiswerter als am Dublin Airport. Gerade als ich mein weites genoss, hat es wieder angefangen wie aus Gießkannen zu regnen. Bin gespannt, ob das bis morgen wieder aufhört.
29.04.2012 Mansilla de ls Mulas (39km)
Beim erlassen der Herberge war der Himmel bedeckt, aber der Boden fast trocken. So kann es bleiben. Auf dem Weg aus Sahagún raus trafen wir auch wieder auf Roland und Markus. Auch Karin (Pilgerbekannte von Roland) stieß später zu uns. Karin hatte ich bisher noch nicht erwähnt. Sie habe ich bereits in Castrojeriz mal kurz gesehen, aber erst später bei einer Trinkpause vor Sahagún kennen gelernt. Bis zum Abzweig Calzada del Coto können wir uns noch überlegen, ob wir den Hauptweg oder auf einer Nebenroute nach Reliegos laufen, beides sind ca. 32km. Ich folgte dann der Mehrheit auf dem Hauptweg. Ein Fehler? In Bercianos del Real Camino gab es eine Frühstückspause, weiter ging es nach El Burgo Ranero, Mittagspause kurz vor 12. Vor uns liegen noch 13km bis nach Reliegos. Den ganzen Weg entlang folgten wir einer sehr wenig befahrenen Landstraße (ca. 7 Autos in 3 Stunden). 2 kleine Trinkpausen gönnten wir uns auf den langen Weg nach Religos. Nach der zweiten verspürte ich einen „Kraftschub“ und so fragte ich Roland, Markus und Karin ob sie nicht Lust hätten bis nach Mansilla de las Mulas weiterzulaufen. Alle 3 wanden sich pfeifend von mir ab, so trabte ich dann an ihnen vorbei, mit der Bemerkung, morgen vor Leon auf sie zu warten. In Religos holte ich mir in einer Bar einen Stempel und ging dann weiter bis nach Mansilla. Einige Kilometer vor Mansilla traf ich auf Maria, Anja, Konstantin und Kornelius. Alle vier habe ich bereits gestern in Sahagún mal kurz getroffen, sie sind dann aber noch einen Ort weitergelaufen. Beim Ortseingang sah ich von weitem schon ein Gewitter sich nähern, hoffentlich schaffe ich es noch bis zur Herberge. Etwas erschöpft kam ich in der Herberge an, war aber erstaunlich gut gelaunt. Die Mitarbeiterin der Herberge staunte nicht schlecht, als sie mir den Stempel in den Pilgerpass gab und fragte mich, ob ich den ganzen Weg von Sahagún aus gelaufen bin. Ich sagte einfach nur: „Si, Si!“ (deutsch „Ja, ja!“). Als Abendessen gab es für mich die mitgeschleppten Vorräte, Weißbrot mit Thunfisch und Wasser. So hatte ich dann am Ende 39km (deutlich mehr als die 29 von Irland) in den Füßen, war aber nicht so ausgepowert, wie erwartet.
Was ich heute gelernt habe ist: Loslassen
30.04.2012 León (19km)
Heute gehts nur nach León, gute 18-19km. Mit etwa 145000 Einwohnern ist León die zweitgrößte Stadt auf dem Jakobsweg, nach Burgos. Nach den Aufbruch in Mansilla de las Mulas habe ich eine kleine Rast in Puente de Villarente, mit Bocadillo und Kakao, gemacht. Weiter ging es nach Arcahueja, wo ich vor den eigentlichem Ort, an einer für Pilger erbauten „Raststätte“ auf Roland, Markus und Karin wartete (nicht mal sehr lange). Die folgenden Kilometer, zwischen Arcahueja und León, waren die bisher schlimmsten, es ging durch ein riesiges Industriegebiet. Endlich in León angekommen, wollte ich auch schon wieder weg. Nachdem ich nun über eine Woche durch kleine Dörfer gewandert bin, jetzt in diese Großstadt zu kommen, war nicht gerade sehr einladend. In der Herberge des Benediktinerinnenklosters fanden wir einen Schlafplatz. Zusammen mit Roland lief ich am Abend noch ein wenig durch die Stadt und anschließend gingen wir gemeinsam in die Messe in der benachbarten Kirche. Kurz vor 21 Uhr kam dann noch ein wahrer „Pilgerfrischling“ an und stellte sich uns als Josef vor. Er hatte weder Schlafsack noch Reiseführer, aber viel Geld. Josef kam direkt vom Golfurlaub auf Mallorca und hatte wahrscheinlich eine Blitzidee mit der Wanderung auf dem Jakobsweg. 21:30 bekamen wir dann noch von den Nonnen des Klosters einen Pilgersegen.